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Über den Vorwurf des Blackfacing bei Wetten, dass ..? in Augsburg, historische Entwicklungen der Minstrel Shows und Rassismus am Beispiel von Jim Knopf

von Katja Boser 

Rückblick

Ein Samstagabend im Dezember 2013. Zusammen mit meiner Cousine sitze ich gespannt auf der Couch und warte auf die Verkündung der Saalwette. Wenn sich das Geforderte umsetzen lässt, sind wir dabei, schließlich ist es das letzte Mal, dass Wetten, dass ..? in Augsburg gastiert und so ein Erlebnis vergisst man bestimmt nie.

Dann verkünden auch schon die beiden Stars der Augsburger Puppenkiste: „Wetten, dass Augsburg es nicht schafft, 25 Paare als Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer verkleidet hier auf die Bühne zu bringen? Jim sollte natürlich schwarz geschminkt sein, Schuhcreme, Kohle, was auch immer!“[11] In Gedanken gehen wir bereits nach dem ersten Satz unseren Kleiderschrank durch, sodass der zweite und viel entscheidendere Satz, mehr oder weniger untergeht.

Latzhose – haben wir beide keine zur Hand; nicht einmal einen roten Pulli, wie Jim Knopf ihn trägt, geschweige denn eine Mütze für Lukas. Die Rollenverteilung hätten wir schneller geklärt gehabt, aus pragmatischen Gründen heraus. Ich wäre Lukas, sie Jim Knopf, einfach deswegen, weil ich die Größere von uns beiden bin. Unsere Teilnahme an der Saalwette scheitert an den Inhalten unserer Kleiderschränke.

Und so harren wir also vor dem Fernseher aus und warten ab, was der Wetten, dass ..?-Abend in Augsburg noch so bringt. Selbst als kurz vor Ende der Show die Stadtwette erfüllt wird, verschwenden wir immer noch keinen Gedanken daran, dass die Saalwette, die sich gerade abspielt, ein öffentlicher Aufruf zum Blackfacing ist. An diesem Abend sind wir ein bisschen wehmütig, da wir doch selber gerne mitgemacht hätten. Aus heutiger Perspektive bin ich unendlich froh, dass sich in meinem Kleiderschrank keine geeigneten Utensilien für die Verkörperung der beiden beliebten Puppenkiste-Stars finden haben lassen. Der Grund dafür ist, dass sich meine Sensibilität, was Rassismus betrifft, gewandelt hat und ich heute viel bewusster darüber nachdenke und Handlungen und Äußerungen wesentlich kritischer begegne. Dies liegt unter anderem daran, dass ich verschiedene Seminare an der Universität belegt habe, durch die sich meine Anschauung gewandelt hat.

Zahlreiche Augsburger stürmten die Messehalle verkleidet als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Zahlreiche Augsburger stürmten die Messehalle verkleidet als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (Foto: privat)

Einem Großteil der Teilnehmenden war sicher in diesem Augenblick nicht bewusst, dass sie mit ihrer Teilnahme an der Stadtwette Menschen verletzen. Ihnen ging es ähnlich wie mir: Im Fokus stand, die Stadtwette umzusetzen. Dazu sollten sie als Jim Knopf und Lukas verkleidet die Messehalle stürmen. Heute bin ich davon überzeugt, dass jeder seine eigene Einstellung und vermeintliche Toleranz grundsätzlich hinterfragen sollte. Jeder kann dazu beitragen, sich respektvoll im Umgang mit seinen Mitmenschen zu verhalten.

Reaktionen der Medien: Unverständnis vs. Entrüstung

Unmittelbar nachdem die Saalwette verkündet wurde, brach in sozialen Netzwerken und auf den Onlineportalen sämtlicher Tageszeitungen eine heftige Debatte über den öffentlichen Aufruf zu einer Aktion aus, die eine Form von Alltagsrassismus darstellt. Anhand von online verfügbaren Artikeln und Kommentaren über den Vorfall in Augsburg, lassen sich die kontroversen Meinungen einfangen. Die Analyse zeigt, dass die Berichterstattungen überwiegend Entrüstung gegenüber der Wette zum Ausdruck brachten. Kurz nachdem die beiden Hauptdarsteller aus Holz die Wette verkündet hatten, merkte Michelle Hunziker noch an, dass der Hinweis mit der Kohle ,interessant’ sei. Markus Lanz ergänzte daraufhin: „Wir akzeptieren alles, wir nehmen Schuhcreme, alles, alles was so passt.“[12] Dass die Hautfarbe von Jim Knopf ,passt’ ist dieser Aussage nach das Entscheidende – alles Weitere erscheint bei diesem Wettaufruf unwichtig. Auf dem sozialen Netzwerk Twitter setzte sich sogleich unter #blackfacing und #blackface eine hitzige Debatte in Gang. Viele Menschen sind sich einig: Diese Wette ist alles andere als in Ordnung.

Doch welche Reaktion zeigte das Sprachrohr der Stadt, die Augsburger Allgemeine? Besonders der erschienene Kommentar zur ZDF-Sendung gibt schon durch seinen Titel „Warum die Rassismus-Vorwürfe wegen Jim Knopf daneben sind“[13] eine inhaltliche Stoßrichtung vor, deren Einstellung klar dem Unverständnis gegenüber der Debatte zuzuordnen ist. Gleich zu Beginn des Artikels heißt es dort: „Irgendjemand, der irgendetwas zu kritisieren hat, findet sich immer. Vor allem bei Wetten, dass ..?“[14] Dass sich die bisherige Kritik am Format jedoch meistens um Themen, wie freizügige Outfits oder langatmige Gespräche gehandelt hat, wird dabei nicht deutlich. Vielmehr zeigt dieser Satz klar die Ignoranz gegenüber der laut gewordenen Kritik.

„Jim sollte natürlich schwarz geschminkt sein!“ (Foto: privat)

Während auf der einen Seite Unverständnis herrschte, wendete sich die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, kurz ISD, in einem offenen Brief an die Redaktion des ZDF um ihre Empörung kundzutun. „Alltagsrassismus und koloniale Darstellungen gehören zur Lebensrealität Schwarzer Menschen in Deutschland.“[15] Das ZDF wehrte sich öffentlich gegen die Vorwürfe und argumentierte, dass der Aufruf der Stadtbevölkerung sich als Jim Knopf und Lukas zu verkleiden, nicht in Zusammenhang mit Blackfacing stünde.[16] Ein weiterer Vorwurf der ISD dem ZDF gegenüber ist die Tatsache, dass die Schwarzen Menschen, die in Augsburg leben bei dieser Wette völlig ausgeblendet werden. Dies zeigt, wie wichtig es ist, in der Bevölkerung ein Bewusstsein für Schwarze Deutsche zu schaffen. Denn der Hinweis, Jim Knopf sollte schwarz geschminkt sein, stellt eine Aufforderung für die Weißen der Mehrheitsgesellschaft dar, ihre Hautfarbe zu überschminken und dadurch die Schwarze Figur zu imitieren.

Blackfacing und seine Ursprünge – Minstrel Shows des 19. Jahrhunderts

So genannte Minstrel Shows bildeten in den 1830er und 1840er Jahren eine neue erfolgreiche Unterhaltungsform in den USA. Im Fokus standen einfache Charaktere, deren Kontakt zum Publikum während der Show essentiell war. Bereits in den späten 1820er Jahren traten Weiße Amerikaner, als Schwarze geschminkt, tanzend und singend in Zirkussen auf. In den 1830er gewannen Unterhaltungsshows, in denen Blackfacing praktiziert wurde, immer mehr an Bekannt- und Beliebtheit in der Bevölkerung. Eine wahre Begeisterungswelle erfasste Amerika Mitte der 1840er Jahre. Als im Jahr 1844 die Minstrel-Gruppe ,Ethiopian Serenaders’ erstmalig für den amerikanischen Präsidenten John Tyler im Weißen Haus spielte, war dieser von der Darbietung gleichermaßen beeindruckt, wie die breite, Weiße amerikanische Bevölkerung. Verschiedene Minstrel-Gruppen unterhielten in den Folgejahren die Präsidenten Polk, Fillmore und Pierce.[17] Zahlreiche Gruppen entstanden und Schauspieler tourten von Stadt zu Stadt, um ihre Darbietungen vorzuführen. Die Shows entstanden im Nordosten des Landes in Städten wie New York, Boston und Philadelphia, in denen erfolgreiche Minstrel-Gruppen feste Spielzeiten, zum Teil über Jahre hinweg, besaßen. Minstrel Shows wurden in großen Theatern, Kirchen und Synagogen dargeboten.[18]

Doch wie konnten es die Minstrel Shows schaffen, eine derartige Begeisterungswelle im Land entstehen zu lassen?

Durch die Shows wurde so ein stereotypes Bild von Sklaven konstruiert. Die Virginia Minstrels behaupteten sogar, dass ihre Darbietungen in Musik, faszinierenden Tänzen und ausgelassenen Späßen die Eigenheit der Sklaven wiederspiegeln. Diese Darstellungen von den unterdrückten Schwarzen sollten sich stark von den freien, Weißen Amerikanern unterscheiden. Mithilfe von Schminke wurden deshalb Augen und Lippen stark überzeichnet. Neben Blackfacing und dem Nachäffen von Schwarzen gab es genug andere Darstellungen, die die Minstrel Shows dauerhaft erfolgreich machten. Der Erfolg lag auch im direkten Kontakt zwischen Schauspielern und dem Publikum. Daneben waren die einzelnen Shows nicht an einen festen Ablaufplan gebunden, sondern konnten je nach Publikum variiert werden. Dadurch war es möglich, immer eine erfolgreiche Show abzuliefern. Die einzelnen Bestandteile der Shows, die Lieder und Tänze waren in sich abgeschlossene Handlungen und konnten individuell angepasst werden.[19]

Rassismus bei Jim Knopf – Illustration, Textgrundlage und die Augsburger Puppenkiste

Nachdem die Stadtwette in Augsburg für sehr viel Aufsehen gesorgt hat, soll im Folgenden ein Blick auf die Geschichte von Jim Knopf geworfen werden. Dabei wird sowohl Bezug auf die Buchversion von Michael Ende genommen, aber auch die Inszenierung der Augsburger Puppenkiste betrachtet.

Auffallend ist besonders die Illustration des Romans ,Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer’ von Franz Josef Tripp, der im Thienemann-Verlag erschienen ist. Jim hat überzeichnete große, rote Lippen und gekräuseltes Haar. Diese überzeichnete Darstellung entspricht vielmehr einer Karikatur als einer realistischen Abbildung eines Schwarzen Menschen. Einflüsse rassistischer Darstellungspraktiken wie etwa der Minstrel Shows beginnen also bereits auf dem Titelbild. Dies ist der Teil eines Buches, der im Gedächtnis bleibt.

Das Titelbild des Kinderbuchklassikers

Das Titelbild des Kinderbuchklassikers

Auch die genauere Betrachtung des Inhalts des Kinderbuchklassikers lohnt sich: Ein Paket, dessen Adressat auf der Insel Lummerland nicht ausfindig gemacht werden kann, landet kurzerhand durch den Beschluss des König Alfons, des Viertelvorzwölften, in der Obhut der einzigen weiblichen Bewohnerin Frau Waas. In diesem befindet sich Jim Knopf, zu diesem Zeitpunkt noch namenlos. Der Leser erfährt als erstes, dass der Inhalt der Schachtel ein kleines Schwarzes Baby ist, bis Inselbewohner Herr Ärmel kommentiert: „Das dürfte vermutlich ein kleiner Neger sein!“[20] Lokomotivführer Lukas, selbst schwarz durch die viele Kohle, mit der er tagtäglich aufgrund seines Berufs in Kontakt ist und die er trotz einer speziellen Seife nicht vollständig abbekommt, empört sich lautstark über die Versendung eines Kindes in einem Postpaket. Daraufhin, so heißt es im Buch, beginnt das Baby zu weinen, weil es sich vom lauten Schimpfen Lukas´ erschrickt. „Außerdem war es auch erschrocken vor dem großen schwarzen Gesicht von Lukas, denn es wußte ja noch nicht, daß es selber auch ein schwarzes Gesicht hatte.“[21] Diese Passage lässt einen aufhorchen; Schwarz steht hier für etwas Negatives. Lukas hat ein schwarzes Gesicht, vor dem das Baby erschrickt. Dadurch kommt es zur Unterscheidung in Schwarz und Weiß als Trennung in negativ und positiv, in Gut und Böse. Auffällig ist auch, dass die schwarze Farbe Lukas im Vorfeld als klar durch seine Arbeit bedingt beschrieben wird. Also eine deutliche Hervorhebung, dass Lukas im Grunde Weiß sei und er nur durch die Kohle schwarz gefärbt wurde. Trotz der anfänglichen Angst vor Lukas entwickelt sich zwischen den Beiden eine innige Freundschaft. Auch dafür gibt es bei Michael Ende eine pragmatische Begründung: „Sie verstanden sich ohne viele Worte, schon allein deshalb, weil Lukas ja ebenfalls fast ganz schwarz war.“[22] Damit werden rassistische Klischees bedient, die besagen: alle Schwarzen Menschen sind automatisch Freunde, verstehen sich gut und haben einen Draht zueinander. Diese Vorstellung müsste im Umkehrschluss ja auch bedeuten, dass alle Weißen sich gut verstehen, eben weil sie Weiß sind.

Wie Jim Knopf in der Augsburger Puppenkiste den Zuschauern präsentiert wird, davon können sich Augsburger, aber auch Touristen seit 2014 auf dem Lummerland-Spielplatz der Stadt ein Bild machen. Dieser befindet sich neben dem Kräutergarten in der Roten-Torwall-Anlage und ist nur ein paar Gehminuten vom Heilig-Geist-Spital, in dem die Augsburger Puppenkiste ihren Sitz hat, entfernt. Rein äußerlich orientiert sich die geschnitzte Holzpuppe an den Filmen der Puppenkiste, aber auch an der Illustration der Buchgrundlage. So hat die Figur der Augsburger Puppenkiste ebenfalls überzeichnet große, rote Lippen. Neben der Hautfarbe ein weiteres Kennzeichen, durch das er sich von den restlichen vier Lummerländern unterscheidet.

Der Lummerlandspielplatz der Stadt Augsburg

Der Lummerlandspielplatz der Stadt Augsburg (Foto: Katja Boser)

Auch die Filmversion der Augsburger Puppenkiste bedient folglich rassistische Klischees. Während jedoch die Textgrundlage von Michael Ende in der Ankunftsszene des Paketes das N-Wort enthält, wird in der Verfilmung der Puppenkiste darauf verzichtet. Die Bewohner öffnen das Paket und Frau Waas, die eine Lieferung Lakritz für den König erwartet, kommentiert: „Schwarz ist es zwar, aber Lakritz ist es nicht.“ Bevor sie hinterherschiebt, dass es sich um ein „süßes, kleines Baby“ handle.

Ausblick

Seit dem Aufschrei bei der Ausstrahlung von Wetten, dass ..? im Dezember 2013 sind nun eineinhalb Jahre vergangen. Ein Zeitraum, in dem sich viel wandeln kann. Beispielsweise das eigene Bewusstsein zu rassistischen Handlungen und Worten, das sich sensibilisieren lässt.

Eine eigene Beobachtung lässt mich Anfang des Jahres bei einem Faschingsumzug zusammenschrecken. Ich stehe am Straßenrand und muss zuschauen, wie ein Wagen unter dem Motto Asterix und Obelix, nicht nur zahlreiche der berühmten Gallier mit an Bord hat. Nein, ein paar der ,Narren’ verkörpern auch den Schwarzen Piraten, der oben auf der Aussichtsplattform die See im Auge behalten muss. Natürlich in einer plakativen, stereotypen Darstellung.

Ein anderes Beispiel ist der inzwischen aus dem adventlichen Ambiente der Kirche verschwundene ,Nickneger’ Diese dienten als Missionssammelbüchsen, um aufgestellt neben der Krippe eine Spende für die Dritte Welt zu sammeln. Somit konnte an Weihnachten Gutes getan werden, weil man auch an die denkt, denen es nicht so gut geht. Zur Anerkennung nickte der Bedürftige dem gütigen Spender zu. Diese Darstellung hält eine kolonialistische Vorstellung am Leben: Der Schwarze ist dem Weißen untergeordnet – dies zeigt auch seine kniende und verneigende Körperhaltung. Ab dem Jahr 1975 wurde in den Kirchen damit begonnen, die Spardosen nicht mehr aufzustellen. Mir sind sie aus meiner Kindheit noch vertraut, was zeigt, dass die vollständige Entfernung lange gedauert hat. Mittlerweile sind sie aus den meisten Kirchen verschwunden. Zurück bleibt die Frage, ob viele Menschen, die sich voll schöner Gedanken an die erlebten Weihnachtsfeste, auch an die diskriminierende Figur erinnern und verstehen, weswegen ihre Verwendung rassistisch ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wetten, dass ..?-Sendung gezeigt hat, wie stark Stereotype im gesellschaftlichen Denken verankert sind. Gleichzeitig wurde deutlich, dass nach wie vor Unwissenheit gegenüber rassistischen Darstellungspraktiken wie etwa dem Blackfacing besteht. Dagegen muss vorgegangen werden. Außerdem legte der Wetten, dass ..?-Aufruf und die anschließende Diskussion offen, dass Schwarzsein und Deutschsein nur selten zusammengedacht werden. In einer von Vielfalt und Einwanderung geprägten deutschen Gesellschaft sollte eine an Hautfarbe gebundene Vorstellung von Staatszugehörigkeit jedoch längst überholt sein.